Was ich zu Beginn meiner ME/CFS-Erkrankung gerne gewusst hätte

Tipps und Einsichten für Betroffene und Angehörige

1/7/20254 min read

Hallo ihr Lieben,

als ich am Anfang meiner Erkrankung stand, gab es so vieles, was mir geholfen hätte zu wissen. Ich möchte hier ein paar dieser Erkenntnisse mit euch teilen, in der Hoffnung, dass sie euch vielleicht ein bisschen Orientierung geben.

Der Mechanismus hinter der Krankheit ist „neu“ und komplex

Zu Beginn war mir nicht klar, dass die Mechanismen hinter meiner Krankheit so „neu“ und komplex sind, dass selbst die Expert:innen oft nicht wirklich durchblicken. Wobei der Terminus „neu“ in diesem Zusammenhang nicht wirklich gerechtfertigt ist. Die Krankheit ME/CFS wurde bereits 1969 in den ICD aufgenommen, aber im allgemeinen Medizinstudium nicht gelehrt. Aufgrund dieser Wissenslücke wird von vielen Ärzt:innen angenommen, dass es sich hierbei um eine neuartige Krankheit handeln würde.

Dennoch ist die Definition und Diagnose von ME/CFS aufgrund mehrerer Faktoren schwierig. Dazu gehören die komplexe und vielschichtige Symptomatik sowie das Fehlen eines etablierten Biomarkers. Die Symptome können stark variieren und überschneiden sich oft mit denen anderer Erkrankungen, was die Diagnose zusätzlich erschwert. Wegen der begleitenden Funktionsstörung des zentralen und autonomen Nervensystems wird die Erkrankung von der WHO als neurologische Erkrankung geführt.

Bluttests sind wichtig, aber nicht alles

Es gibt viele Bluttests, die hilfreich sein können, aber ich habe auch gelernt, dass man nicht einfach davon ausgehen kann, dass Ärzt:innen automatisch alles testen, was wichtig ist. Manchmal werden entscheidende Tests nicht von der Krankenkasse angeboten und müssen daher durch Speziallabore durchgeführt werden. Das bedeutet, dass man selbst nachfragen und dranbleiben muss. Es ist wirklich nicht einfach, aber oft notwendig, dass man sich selbst in die Thematik einliest und entsprechende Untersuchungsmöglichkeiten forciert. Nur weil herkömmliche Bluttests nichts nachweisen können, heißt das nicht, dass es nicht durch andere Tests möglich wäre. In den jeweiligen Foldern zu den Krankheitsbildern auf der Homepage, wird auf die entsprechenden Testungen hingewiesen.

Wenn man es nicht sofort erklären kann, wird es oft auf die Psyche geschoben

Das war eines der frustrierendsten Dinge für mich. Wenn Ärzt:innen nicht gleich eine klare Erklärung für Symptome finden oder wenn es zu viel Zeit in Anspruch nimmt, wird gerne gesagt, "Das ist psychisch." Es hat wirklich eine Weile gedauert, bis ich gelernt habe, mich davon nicht entmutigen zu lassen und weiter nach Antworten zu suchen. Insbesondere, da ich mit dem Grundsatz aufgewachsen bin, dass Ärzt:innen immer wissen was sie tun.

Um jedoch auszuschließen, dass meine Psyche der Auslöser meiner Erkrankungen war, wurden mehrere psychiatrische Gutachten erstellt, welche dies widerlegten. Mit diesen Gutachten, sowie den Nachweisen über meine organischen Beeinträchtigungen, konnte ich Ärzt:innen mit dieser Meinung schnell den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn es euch möglich ist, würde ich euch daher anraten frühestmöglich psychiatrische Abklärungen vorzunehmen.

Symptome kommen in Wellen

Eine große Lektion für mich war, dass sich meine Zustände in Wellen bewegen. Nur weil es mir an einem Tag besser ging, hieß das nicht, dass es am nächsten Tag genauso sein würde. Diese Schwankungen haben mich oft zur Verzweiflung getrieben, aber mit der Zeit lernt man es zu akzeptieren und sich darauf einzustellen. Ein entscheidender Punkt, der leider häufig übersehen wird, ist hierbei die Belastungsintoleranz. Anders als bei vielen anderen Erkrankungen können gängige Aktivierungstherapien, die auf körperliche oder geistige Anstrengung setzen, den Zustand von ME/CFS-Patienten erheblich verschlechtern. Für eine Verbesserung des Zustandes ist es daher unumgänglich, dass man die eigenen Belastungsgrenzen einhält und "Pacing" betreibt. Genaueres findet sich unter dem Folder "Me/CFS" auf dieser Homepage.

Ich sehe besser aus, als ich mich fühlte

Es gab viele Tage, an denen ich optisch "okay" aussah, obwohl ich mich schrecklich fühlte. Das hat leider häufig zu Missverständnissen geführt. Menschen glauben nur, was sie sehen. Das ist besonders heimtückisch bei dieser Erkrankung, da viel Patienten kaum bis gar keine äußeren Veränderungen zeigen. Meistens werden die Betroffenen nur dann gesehen, wenn sie genügen Kraft haben, um das Bett oder das Haus zu verlassen. Die Zeiten, welche sie liegend und voller Schmerzen verbringen, werden meistens nur von den engen Angehörigen wahrgenommen.

Es wird immer Menschen geben, die die Krankheit negieren

Das war eine harte Lektion: Es wird immer Menschen geben, die sagen, "Das gibt es doch gar nicht" oder "Das bildest du dir nur ein." Anfangs habe ich versucht, es ihnen zu erklären, aber das hat mich nur ausgelaugt. Jetzt konzentriere ich mich auf die Menschen, die bereit sind zuzuhören und zu verstehen. Natürlich ist es eine sehr schmerzhafte Erfahrung, wenn es sich bei den Menschen um nahe Angehörige oder Bekannte handelt. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass Menschen überwiegend nur das glauben, was sie auch von anderen, in den meisten Fälle den Medien, zu hören bekommen.

Geduld bei Terminen und Tests

Termine und Labortests dauern oft Monate. Anfangs war das für mich kaum zu ertragen. Ich wollte Antworten und das am besten sofort. Ich konnte nicht verstehen, wie es sein kann, dass ich in meinem Zustand Monate auf einen Termin warten musste, oder Labortests Wochen bis zur Auswertung brauchten. Wenn ich ehrlich bin kann ich es noch immer nicht verstehen, aber wenn mich diese Krankheit eines gelehrt hat, dann war das Geduld.

Jeder hat seinen eigenen Weg

Am Ende habe ich verstanden, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss, mit der Krankheit umzugehen. Es gibt keine Einheitslösung, kein Patentrezept. Was für die eine Person funktioniert, passt vielleicht gar nicht für die andere. Das schlussendlich anzuerkennen, hat mir geholfen, weniger Druck auf mich selbst auszuüben. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich alles ausprobieren müsste, was anderen etwas geholfen hat und war dann immer enttäuscht, wenn ich keine positive Wirkung hatte. Wenn man jedoch die Komplexität und unterschiedlichen Ausprägungen dieser Erkrankung bedenkt, macht es nicht viel Sinn den eigenen Fortschritt mit jenen von anderen zu messen.

Alles Liebe,

Tina

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